Von Tourschlampen – Roman und Interview von und mit Georg Ringsgwandl

17. September 2023 | immer.kreativ

Georg Ringsgwandl – Musikkabarettist, Autor, Sänger, Arzt, geboren in einem nicht so schönen Viertel in Bad Reichenhall, wird im November 75. Fast pünktlich dazu ist jetzt eine Art Autobiografie entstanden. Nein, HALT – es sind ja die Aufzeichnungen der „Tourschlampe“ Doris, die Ringsgwandl beim Aufräumen eines alten Laptops gefunden haben soll. Titelfoto: www.christiankaufmann.de*

Im Interview beschreibt der urbayerische Schelm das folgendermaßen: „Es sind natürlich autobiografische Elemente drin, weil die Doris ja lange Jahre mit uns unterwegs war. Sie hat sozusagen die Anfänge meiner Musikmacherei miterlebt. Später hat sie dann bei anderen Leuten, Kabarettisten und Rockbands gearbeitet, großen Acts, beim Fernsehen, beim Theater. Eine Zeit lang hat sie sogar Theaterwissenschaften studiert, da sind einige Bereiche dabei, die ich dann nicht mehr mitbekommen habe. Das kommt ja alles im Buch vor.“

Nix zu verlieren

Vier Jahre lang hat es gedauert, bis „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“ letztendlich erschienen sind. Es gab mehrere Ankündigungen, auch in anderen Verlagen. „Im ersten Entwurf hatte das Ding 1.200 bis 1.300 Seiten gehabt … Das ist ja niemandem zuzumuten. Dann hab’ ich es auf 850 Seiten zusammengestrichen, dann auf 650. Und die letzten sechs Monate habe ich damit verbracht, nochmals zu streichen und das Ganze in Schuss zu bringen.“
Platten, Tourneen und Theaterstücke seien ihm immer wieder dazwischen gerutscht. Aber jetzt ist es da, das Werk mit dem alles andere als politisch korrekten Titel, das gerade in Zeiten des Rammstein-Skandals eine ganz neue Facette gewinnt – oder verliert.

Starke Frauen im wahrsten Sinne des Wortes

Ringsgwandl bleibt ganz gelassen und erzählt von starken Frauen aus Bremen, die in den 1990ern als technische Crew mit international erfolgreichen Bands unterwegs gewesen seien und sich selber Tourschlampen nannten: „Das waren so richtig handwerklich begabte, athletische, toughe, tätowierte Weiber“, erinnert er sich voller Bewunderung. Ein Ehrenbegriff.
Doris sei während ihrer erfolgreichen Tätigkeit als Plattenverkäuferin und Managerin einmal von anderen Crewmitgliedern so genannt worden. Sie nahm es erst krumm, die Bezeichnung blieb aber hängen, und es wurde später sozusagen ihr „Kampfname“.

Thema Autobiografien

Gab es literarische Vorbilder für sein Werk? Eher nicht: „Ich empfinde das meiste, was an Autobiografien geschrieben wird und wurde, einfach als absolute Zumutung. Die ‚Chro­nicles‘ von Bob Dylan, die er vor Jahren schon veröffentlicht hat, schließe ich aus. Das ist wirklich so großartig geschrieben. Ich fand auch ‚Life‘ von Keith Richards, das er mit einem Journalisten zusammen gemacht hat, klasse geschrieben. Es gibt sicher noch ein paar andere, aber viele, in die ich mal reingeschaut habe, finde ich einfach bitter.“
Dann lesen wir doch lieber, wie Doris das alles erlebt hat. Ringsgwandl, der in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist, hat in Würzburg, Kiel und Kalifornien Medizin studiert, ließ sich dann in München nieder. Er lernte den Bluesmusiker Willy Michl während seiner Zeit als Assistenzarzt am Klinikum Großhadern kennen und fing mit ersten kurzen Auftritten parallel zu seiner medizinischen Karriere an.

Oberarzt, Musiker, Kabarettist

Ab 1984 als Oberarzt der Kardiologie in Garmisch. Und nebenbei auf Tour, anfangs darauf bedacht, dass es die Kolleg*innen nicht mitbekommen. Doch Ringsgwandl wurde immer erfolgreicher – mit rasch wechselnden Bandbesetzungen und Platte für Platte. Elemente bayerischer Volksmusik, vermischt mit schrillen Bühnenoutfits, punkigem Makeup und Rock, das kam und kommt an. Ringsgwandl wurde mehrfach mit renommierten Preisen wie dem Salzburger Stier, dem Deutschen Kleinkunstpreis oder dem Bayerischen Kabarettpreis ausgezeichnet.
1993 gab er den Arztberuf ganz auf, der dreifache Familienvater ist seitdem Autor und Künstler. Wie er ursprünglich zur Musik kam? Ringsgwandl dazu: „Mit sieben Jahren spielte ich Zither während eines Kaffeekränzchens in meiner Siedlung. Und die ganzen Mütter, ganz junge Frauen, waren total hingerissen und haben mir 5 Mark zugesteckt, das war in den 50er-Jahren. Also das wären jetzt 200 Euro. Und eine Limo und Würstel umsonst gab es auch noch. Das blieb hängen.“
Und warum dann der Umweg über den medizinischen Beruf? „Weil mich mein Vater einfach schlicht erschlagen hätte.“ Zum Thema Groupies stellt er nüchtern fest: „1986, als die erste Platte rauskam, war ich 38, Doktor im Krankenhaus und hatte drei Kinder zu ernähren – und eine Frau.“

Bild links: Zelt Musik Festival Freiburg 2017. Foto: joergens.mi/Wikimedia Commons, Bild rechts: Ringsgwandl 2011 in Karlsruhe. Foto: Frank C. Müller/Wikimedia Commons

Sack wandelnder Anekdoten

Doris, auch aus prekären Verhältnissen stammend, fängt als Babysitterin im Hause Ringsgwandl an. Irgendwann merkt die Band, dass sie auf Tour mehr Platten verkauft als ihre Mutter, die den Job vorher innehatte. Sie wird zum Maskottchen und schließlich zur Managerin. Fängt Verhältnisse mit Bandmitgliedern an und legt Schwarzgeld auf die Seite, weswegen sie sich – vermutlich! – irgendwann ins Ausland absetzt.
Der Weg über den Roman war gewollt, denn das will Georg Rings­gwandl nicht sein: „Ein riesiger Sack von wandelnden Anekdoten“, denn am Ende eines Lebens bleibe eben „ein riesiger Haufen von Vergangenheit und ganz wenig Zukunft …“

Buckliger, stacheliger Weg

„Ich lese sehr viel, schreibe, nehme Platten auf und gebe immer noch Konzerte.“ Ringsgwandl lebt in der Gegenwart. Er beobachtet auch genau, wie sehr sich die Rockmusik und die Szene verändert haben. Stichwort Sex’ n’ drugs & Rock ’n’ Roll: Von der rebellischen Jugendmusik in den Sixties ist sie jetzt „bis in den Musikantenstadel“ gewandert. „Exzess, Saufen, Drogen, Musik – das gehörte damals natürlich dazu. Heute wird Rockmusik technisch, soundmäßig viel besser gespielt, ist inzwischen in Popakademien und Managementschulen angekommen, also nicht mehr per se eine rebellische Angelegenheit.“ Und vielleicht traut sich Doris ja jetzt aus der Versenkung und fordert ihren Anteil? Man wird sehen. Ringsgwandl wünscht sich schlicht: „Es wäre nett, wenn es ein paar Leute gäbe, die sagen, das ist interessant und gut zum Lesen. Das würde mich freuen.“


Dieser Artikel ist zuerst in der neuen musikzeitung, Ausgabe 9-23 erschienen.

Buchtipp

Georg Ringsgwandl: Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris, dtv 2023, 448 Seiten, ISBN 978-3423-282871

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Ursula Gaisa

1968 in Schwandorf geboren. Studium Anglistik und Germanistik. Seit 1994 beim ConBrio Verlag. Journalistin, Buchautorin und Herausgeberin von immerschick.de

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2 Kommentare
  1. Ringswandl, sagt mir was, kenn ich, aber hat ich trotzdem nie wirklich auf dem Schirm. Aber das Buch muss ich lesen, allein der Titel Tourschlampe Doris hat mich schon gecatcht.

    Antworten
    • Hihi, mich auch, ehrlich gesagt. Einfach so herrlich politisch unkorrekt. Vielen Dank fürs Lesen, liebe Sigi!

      Antworten

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