Lesen: Buchtipps für den Frühling 2024

Wer liest, lebt 1.000 Leben. Darum ging es letztens auch in Sigis Blog. Und wer mich kennt, weiß, dass ich ohne meinen Bücherstapel neben dem Bett, nicht gut leben kann. Denn das Lesen gehört, seit ich es kann, zu 100% zu meinem Alltag. Anbei nur eine kleine Auswahl an Buchtipps für den Lese-Frühling 2024.*
Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still (dtv)
1989. Silvia verlässt mit ihrer 12 Wochen alten Tochter Hannah Berlin, ihre chaotische WG und ihr nicht minder unbürgerliches Berufsleben. Den Vater von Hannah hatte sie beim Jobben in einer Kneipe kennengelernt. Der verheiratete Martin wollte aber nachdem er von der Schwangerschaft Silvias erfahren hatte, nichts mehr von ihr wissen. Silvia sehnt sich nach Ruhe und Geborgenheit und „leiht“ sich das Auto eines Kumpels aus, um zu ihrer Mutter in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg zu fahren. Die hat sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, nicht einmal zur Beerdigung ihres Vaters war sie dort gewesen.



Rückblicke bis in die 1950er-Jahre geben uns Einblicke in das Leben vom Silvias Mutter Evelyn als junge Frau und Mutter. Aufgewachsen bei einer Pflegemutter heiratet sie den Bruder ihrer guten Freundin, studiert Medizin, ist als sie endlich das lang ersehnte Kind bekommt, aber als Hausfrau zu Hause todunglücklich.
So ist Silvias Kindheit nicht einfach und verkompliziert sich nach einem schlimmen Vorfall noch mehr. Wie sich die zwei unterschiedlichen Frauen nach langer Zeit wieder annähern… Wie die Zeit in Ildingen stehen geblieben scheint, das alles erzählt Alena Schröder in zwei Zeit-Ebenen vor dem geschichtlichen Hintergrund der Nachkriegszeit und des Mauerfalls. Unterhaltsam, toll geschrieben und – spannend.

Nathan Hill: Wellness (Piper Verlag)
1993 lernen sich der mittellose Kunststudent Jack und die polybegabte Psychologiestudentin Elizabeth aus gutem Hause in einem Boheme-Viertel in Chicago kennen. Erst beobachten sie sich heimlich ausgiebig und gegenseitig, da sie in gegenüberliegenden Wohnungen leben. Also ist es eigentlich im echten Sinner bei beiden Lieben auf den ersten Blick.
20 Jahre später ist alles anders. Ein Umzug in ein hypermodernes Wohnprojekt ist geplant, und das Wort getrennte Schlafzimmer löst bei Jack Panik aus, während sich Elizabeth nach Abwechslung sehnt. Ihr gemeinsamer Sohn Toby ist oft eine Art Studienobjekt für sie, die in einem Institut arbeitet, das erfolgreich Placebos verteilt.


Dazwischen werden die sehr unterschiedlichen familiären Hintergründe des ungleichen Paares beleuchtet und damit amerikanische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Nathan Hill kann sich mühelos in die Riege der großen amerikanischen Erzähler der 2020er-Jahre einreihen.
Schonungslos und offen seziert er eheliche Entwicklungen und Probleme, die jeder und jede, die lange in einer Beziehung lebt, zu 100% nachvollziehen kann. Und vergnüglich zu lesen ist das Ganze auch noch. Dicke Bücher mit Familiengeschichten und einer Prise Kunst. Genau meins.

Katherine May: Der Zauber der Welt. Trost finden in unruhigen Zeiten (Insel)
Ihr Buch zum Winter („Überwintern“) hat mich bereits etwas mit der kalten Jahreszeit ausgesöhnt. In ihrem neuen essayistischen Werk geht es wieder um das Suchen und wie wir uns mit der Welt verbinden können. Erschöpft von den Krisen wie Corona, Kriege und Ängste wendet sie sich wieder an die Natur. Ihre Kräfte sind heilsam und spenden Trost. Es geht ins Moor, in die wilden Wellen des Meeres, zum Feuer und in den Wald.
„Verzauberung ist das Gefühl, dass wir alle miteinander verbunden sind und dass irgendwo in dieser Verbindung eine Kraft steckt, die Fähigkeit, den Zauber im Alltäglichen zu finden, ihn mit Leib und Seele zu spüren, uns von ihm tragen zu lassen.“



Erde, Wasser, Feuer, Luft und am Ende Äther – so sind die Kapitel des Buchs überschrieben. In Zeiten wie diesen eine willkommene Rückbesinnung auf das Einssein mit der Natur.

Bernhard Schlink: Das späte Leben (Diogenes)
Der 76-jährige Martin erfährt, dass es unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Sein Sohn geht noch in den Kindergarten, seine viel jüngere Frau ist Künstlerin. Sie führen eine liebevolle Ehe. Lebensverlängernde Therapien lehnt er ab. Was kann es jetzt noch für seine kleine Familie tun? Wie wird er in Erinnerung bleiben? Und wie gelingt es ihm, loszulassen und versöhnt zu sterben?



Ein kluges, sehr gut geschriebenes und eigentlich gar nicht so trauriges Buch, das einem ein bisschen die Angst vorm Sterben nimmt. Martin schafft es, auf seine Weise noch die wirklich wichtigen Dinge zu regeln, dabei seiner Frau zu Hilfe zu kommen, obwohl sie ihn betrügt, wie er herausfindet. Schritt für Schritt verlässt er ohne Groll dieses Leben. (Weiterlesen zum Thema Tod und Sterben in Karin Simons Buch „Von Bleiben war nie die Rede“, zum Interview hier)

Sigrid Nunez: Die Verletzlichen (Aufbau Verlage)
Noch ein essayistisches Werk, dass sich unter anderem mit der Zeit der Pandemie auseinandersetzt. Die namenlose Ich-Erzählerin reist kurz vor dem ersten Lockdown zur Beerdigung einer besonderen Freundin. Und trifft dabei weitere Gefährtinnen von früher. Sie ist im „Bestager“ Alter, Single und Schriftstellerin. Die eben verstorbene Lily war ganz unerwartet nach einem Tanz in ihrem Schlafzimmer umgefallen – für immer. Wusste ihr Mann, wie oft sie ihn betrogen hatte?



Zurück in New York bittet sie eine Freundin, die wegen der Pandemie in Kalifornien gestrandet ist, auf ihren Papagei in der großen Wohnung aufzupassen. Er brauche Gesellschaft, Ablenkung, Spiel. Schließlich zieht die Erzählerin sogar ein, da sie ihre eigene Wohnung einer Ärztin überlässt. Dazu gesellt sich noch ein junger Mann, der auch gestrandet ist. Einsamkeit, Schreibblockade, Ausnahmezustand – eine besondere Zeit, die wir wahrscheinlich alle ähnlich erlebt haben. Gedanken, die in unserem Alter eine größere Rollen einnehmen…
Sehr gut geschrieben und auch irgendwie tröstlich.

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Interessante Empfehlungen liebe Ursula, besonders angesprochen haben mich Bernhard Schlink und das Buch Wellness. Da könnte jetzt tatsächlich noch etwas auf meinen Bücherstapel oben draufkommen. Liebe Grüße, Sigi
Unbedingt, liebe Sigi. Beides kann ich wirklich wärmstens empfehlen! Herzlich Ursula