Endlich gut genug sein – ein Interview mit Resilienz Coach und Beraterin für Stressprävention Lisa Jöhren

26. August 2021 | immer.dasleben

Lisa Jöhren ist Resilienz Coach und Beraterin für Stressprävention und hat eher spät ihren Weg gefunden: „Wenn ich meiner Geschichte einen Titel geben würde, dann lautete er in etwa so: Von der Schüchternheit in Person zur selbstbewussten Expertin„. Obwohl sie eigentlich prädestiniert war für eine „Karriere“ – sie lernte schnell, war motiviert, ehrgeizig und konnte andere begeistern -, hat sie sich wie so viele Frauen versteckt und nicht gezeigt, was in ihr steckt.

Das Gefühl „nicht gut genug zu sein“, hat mich viele Jahre meines Lebens begleitet und dafür gesorgt, dass ich zwar eine Ausbildung nach der anderen absolvierte, mich über die Maßen forderte und antrieb, aber nie wirklich „fertig“ fühlte. Was von außen wie große Disziplin wirkte, war ein hilfloser Versuch, meine Selbstzweifel zu kompensieren. 

In ihrem zweiten Studium belegte sie Erwachsenenbildung und forschte für ihre Abschlussarbeit zu gebrochenen Biografien von Frauen, deren Lebensentwürfe sich nicht erfüllten. Die Frage nach einem gelungenen Leben zieht sich wie ein roter Faden durch ihren Lebenslauf.

Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete sie in unterschiedlichen Unternehmen im Bereich Human Resources, Personalentwicklung und Betrieblichem Gesundheitsmanagement. Nach einigen Jahren war ihr klar: Funktionieren, höher, schneller, weiter und bloß keinen Schritt zurück – das passt nicht zu ihr und ihren Werten. Erfolg bedeutet so viel mehr, als das. 

Und so machte sie sich selbständig: „Ich möchte, dass Frauen sich nicht durch Mutterschaft vom Markt verdrängen lassen, frei von Rollenzuschreibungen und Regeln arbeiten und offen ihre Meinung sagen. Darum unterstütze ich Unternehmerinnen und selbständige Frauen, selbstbewusst ihr Ding zu machen und sich dabei nicht selbst zu vergessen. 


Ich verbinde das Thema Resilienz mit einem Coaching in Selbstvertrauen, da ich bei der Arbeit mit meinen Klientinnen festgestellt habe, dass alle auf die eine oder andere Art mit Perfektionismus, dem Gefühl nicht gut genug zu sein, Schwierigkeiten Grenzen zu setzen, übermäßigem Nachdenken, Aufschieberitis usw. zu kämpfen haben. Es ist niemals „einfach nur zu viel Arbeit“. 

Lisa Jöhren

Familie, Hund, Beruf, warum bleibt immer noch so vieles an den Frauen hängen?

Weil wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, die strukturelle Ungleichheiten geschaffen hat. Unser System basiert auf der Benachteiligung von Frauen. Während Frauen, das hat die Corona-Krise deutlich gezeigt, noch immer zum Großteil für die Care-Arbeit verantwortlich sind, sind Männer fast ausschließlich darauf festgelegt, Brotverdiener zu sein. Für Gleichberechtigung muss daher erstens ganz Grundsätzliches geändert werden, z. B. bessere Gehälter für Frauen, Veränderung von Steuergesetzen für Alleinerziehende und eine ernstzunehmende Entlohnung von Care-Arbeit aller Art. 

Selbst wenn heterosexuelle Paare gemeinsam entscheiden, dass derjenige, der mehr erwerbstätig ist, weniger im Haushalt machen muss, sind es eben immer noch meistens die Männer, die mehr arbeiten und mehr verdienen.  Aber auch in Haushalten, in denen beide gleich viel arbeiten und verdienen, übernehmen immer noch Frauen mehr Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung und -erziehung.

Zweitens dürfen Frauen und Männer sich von traditionellen Rollenbildern lösen. Das ist oft leichter gesagt als getan, auch weil wir Rollenbilder so tief verinnerlicht haben, dass es uns häufig nicht einmal auffällt. 

Das liegt unter anderem daran, dass die Männer noch mit einem Vater aufgewachsen sind, der gar nichts zuhause gemacht hat und wir Frauen damit, dass wir immer gesehen haben, dass Frauen das eben machen. 
Wenn das Kind krank ist, ruft die Kita die Mutter an und nicht den Vater. Es wird von den Müttern erwartet, dass sie den Kuchen für das Sommerfest backen. Frauen werden auf der Geschäftsreise gefragt, wer denn in der Zwischenzeit die Kinder betreut. Die Liste ist endlos. 


Eine gerechte Aufteilung ist etwas, was man vor dem Zusammenziehen, der Ehe und vor dem Kinderkriegen ausdiskutieren sollte. Oft wird angenommen, dass Care-Arbeit nicht so viel wert ist, wie Erwerbsarbeit. Es kann helfen, sich auszurechnen, was das alles kosten würde, wenn man eine dritte Person damit beauftragen und dafür bezahlen würde. Kochen, Putzen, Hausaufgabenbetreuung… Da kommt ein ganz schönes Sümmchen zusammen. 

Und es ist wichtig, sich vor Augen zu führen: Ob man sich um den Haushalt, die Care-Arbeit oder Kindererziehung kümmern kann, ist eine Sache der Sozialisation und hat nichts mit Fähigkeiten und Fertigkeiten zu tun oder ist gar angeboren. Auch Frauen mussten das lernen.

Da darf frau auch ruhig ihren Perfektionismus hinten anstellen. Väter machen in Haushalt und Kindererziehung vielleicht vieles anders. Das liegt aber vermutlich nicht daran, dass sie Männer sind, sondern dass jeder Mensch eine andere Sichtweise hat. Es scheint nur so, als ob Frauen oft ein bisschen weiterdenken. Das hat aber viel mehr damit zu tun, dass sie einfach von Geburt an darauf trainiert werden. Männer sind dafür oft lockrer und das schadet doch vielleicht auch nicht. 

Den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, warum haben so viele Frauen auch heute noch so große Angst davor?


Das hat unterschiedliche Gründe. Männer wählen immer noch eher männertypische Berufe und Frauen typische „Frauenberufe“. Diese Berufe haben oft weniger Potential für eigene Gründungen, als die männlichen. 


Ein großer Aspekt ist, dass Frauen das Selbstbewusstsein und die Vorbilder fehlen. 


Viele Frauen kommen zunächst erstmal gar nicht auf die Idee, zu gründen. Lediglich 38 Prozent aller Gründerpersonen (selbständig oder freiberuflich im Voll- oder Nebenerwerb) im Jahr 2020 waren weiblich. In Start-Ups ist die Zahl noch deutlich geringer. 

Und dann ist die Sorge, keinen Erfolg zu haben bei Frauen weitaus größer ausgeprägt, als bei Männern. Sie schätzen ihre eigenen Fähigkeiten schlechter ein und fragen sich eher, ob die Welt ihre Business-Idee überhaupt noch braucht. Sie haben Hemmungen, richtig groß zu denken. 

Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass Frauen zu tief stapeln und sich klein machen: „Bin ich gut genug?“, „Was werden andere sagen?“, „Darf ich das?“


Und auch die Angst vor finanziellen Einbußen ist groß. Da Frauen meist weniger oder kürzer erwerbstätig sind als Männer, haben sie auch weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Frauen die gründen, werden zudem schlechter gefördert. Es gibt kaum Investoren.

Ein großer Hinderungsgrund ist auch die Vereinbarkeit von Familie und Gründung. Frauen gründen meistens als Einzelunternehmerinnen. Wenn sie eine Familie planen wird es dann auch im eigenen Unternehmen schwierig mit der Vereinbarkeit. Wie eben schon gesagt, kümmern sich ja nach wie vor Frauen um Haushalt und Kinder und da die Familienplanung zwischen 30 und 40 auch in die Zeit fällt, in der die meisten gründen, schreckt das ab. 


Wir neigen auch immer wieder zur Selbstausbeutung, warum?

Das liegt vor allen Dingen an unseren Denkmustern und Glaubenssätzen, an der Erwartung, die wir an uns selbst stellen und auch an gesellschaftlichen Erwartungen, die an uns gestellt werden. Wir lernen schon früh, wie wir zu sein haben. In unserer Kultur zählt Leistung und Stress ist ein Statussymbol. Schon von klein auf werden wir für unsere Leistung belohnt. 

Selbstausbeutung wird oft von perfektionistischen Ansprüchen angetrieben. Dahinter stecken immer Selbstzweifel, die Angst nicht zu genügen, einen Fehler zu machen, zu versagen oder abgelehnt zu werden. Wir lernen außerdem nicht, unsere Bedürfnisse zu erkennen, auszudrücken und entsprechend zu handeln. Im hektischen Alltag fällt es dann umso schwerer, zu bemerken, wann es Zeit ist, sich auch mal um sich selbst zu kümmern. Und wenn wir es doch mal tun, haben wir ein schlechtes Gewissen der Arbeit, der Familie, den Freund*innen und Kindern gegenüber. 


Wie ist ein Coaching bei Ihnen aufgebaut?

Das ist individuell unterschiedlich. Ich passe den Prozess immer an die individuellen Herausforderungen und Ziele meiner Kundinnen an. Wir beginnen immer mit der Selbsterkenntnis und finden heraus, was die Sicht auf sich selbst und das eigene Verhalten geprägt hat. Im zweiten Schritt geht es darum, neue Denkmuster und Verhaltensweisen zu erproben, um z. B. Perfektionismus zu überwinden oder die eigenen Grenzen zu schützen. Und im dritten Schritt geht es darum, die eigenen Wünsche selbstbewusst zu verfolgen. 


Thema „Hochstaplersyndrom“ – was kann man sich darunter vorstellen?

Ich spreche lieber vom Hochstapler Phänomen oder Hochstapler Selbstkonzept, denn es ist ein Persönlichkeitsmerkmal und keine Erkrankung und sogar recht häufig vertreten. Frauen und Männer sind in etwa gleichem Verhältnis davon betroffen. 

Jeder Mensch kennt Selbstzweifel. Vom Hochstapler Phänomen ist dann die Rede, wenn Betroffene von starken Selbstzweifeln hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Leistungen und Erfolge geplagt werden. Betroffene haben Angst, als Blender wahrgenommen werden, obwohl sie keine Blender sind, sondern in der Regel sehr gut ausgebildete und leistungsfähige Menschen. 

Typisch sind Gedanken, wie: “Irgendwann wird jemand merken, dass ich meinen Erfolg gar nicht verdient habe. Irgendwann merken bestimmt alle, dass ich doch gar nichts kann und keine Ahnung habe.“

Menschen mit dieser Art von Selbstzweifeln haben Schwierigkeiten, ihre Leistungen anzuerkennen und Erfolge wahrzunehmen. Sie fühlen sich nie gut genug und neigen zu chronischer Selbstunterschätzung. Die Angst vor Misserfolg ist sehr groß. 
Das führt dazu, dass diese Menschen häufig besonders hart arbeiten und damit sehr erfolgreich sind. Doch wenn eine Aufgabe erfolgreich erledigt ist, werden die Gründe externen Faktoren und nicht dem eigenen Können zugeschrieben. Das führt wiederum zu dem Gedanken: „Alle haben sich geirrt und werden irgendwann bemerken, dass ich unfähig bin“. 

Es entsteht ein Teufelskreis aus überzogenen Leistungsansprüchen und Versagensängsten.  Gefühle, wie Angst und Scham begleiten so das gesamte Arbeitsleben. Das kostet auf Dauer sehr viel Kraft und Energie und kann zu Erschöpfung und Burnout führen. 

Außerdem bleiben Menschen mit diesem Selbstkonzept bleiben oft unter ihren Möglichkeiten und verwirklichen nicht ihre wahren Träume. 

Wie das Hochstapler Phänomen entsteht ist nicht abschließend geklärt. Es kommen viele verschiedene Faktoren zusammen, z. B. wird es zum Teil vererbt, wie emotional labil ich bin. Aber auch die Sozialisation spielt eine große Rolle. Ein starke Leistungsorientierung im Elternhaus kann die Entwicklung von starken Selbstzweifeln zur Folge haben. Man konnte auch beobachten, dass das Hochstapler Phänomen häufig bei Menschen auftritt, die aus einem bildungsfernen Haushalt kommen und eine akademische Karriere einschlagen. 

Wer das Gefühl hat, von starken Selbstzweifeln eingeschränkt zu sein, sollte nicht zögern, sich Hilfe zu holen. Es ist möglich neue Denkmuster zu erlernen und das eigene Selbstbild zu verändern. 


Ihr Podcast heißt Stressfilter – für wen ist er gedacht und was genau findet man da?

Mein Podcast richtet sich vor allem an selbständige Frauen und Unternehmerinnen und behandelt alle Themen rund um Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein sowie den Aufbau von Resilienz. Alles Dinge, die wir brauchen, um selbstbestimmt und stressfrei unseren (Business-) Alltag zu gestalten. Außerdem führe ich regelmäßig spannende Interviews mit Unternehmerinnen und frage sie, wie sie es schaffen, an sich zu glauben und ihre vielfältigen Rollen und Aufgaben zu jonglieren. 

Lisa Jöhren im Netz:

www.lisajoehren.de/

Ihren Podcast „Stressfilter“, viele interessante und hilfreiche Gespräche mit Frauen, findet ihr auf Spotify und Apple Podcasts

www.lisajoehren.de/stressfilter-podcast/

Ursula Gaisa

1968 in Schwandorf geboren. Studium Anglistik und Germanistik. Seit 1994 beim ConBrio Verlag. Journalistin, Buchautorin und Herausgeberin von immerschick.de

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