Zeit zum Schmökern – neue Bücher
Zwanzig Jahre ist es her, seit ich „Die Korrekturen“ gelesen habe. Bei manchen Büchern weiß ich auch noch genau wo. Auf Zypern war das. Danach konnte ich nicht aufhören, davon zu erzählen. Und jetzt der US-amerikanische Autor und Meister der Familien- und Kulturgeschichten Jonathan Franzen mit Crossroads (Rowohlt, Rezensionsexemplar) wieder auf einem Höhepunkt seines Schaffens.
1971 in einem Vorort von Chicago: Pastor Russ Hildebrandt lechzt nach der jungen Witwe Frances, mit der er gerade auf dem Weg in ein Schwarzenviertel ist, um Gutes zu tun. Seine Frau Marion, mit der er vier Kinder hat, ist dick geworden und langweilt ihn. Der älteste Sohn Clem lernt derweil auf dem College die Macht der Sexualität kennen und will seine Rückstellung für Vietnam freiwillig aufgeben. Sein Verhältnis zur Tochter des Hauses ist seltsam eng, was der allseits beliebten Schönheit Becky langsam zu viel wird. Sie ist Erbin eines kleinen Vermögens ihrer früh verstorbenen Tante und sehr verliebt in den umschwärmten Möchtegern-Musiker Tanner.
Sex, Drugs & Rock’n’Roll
Der Drittjüngste ist der Problemfall Perry, der früh mit allen möglichen Drogen in Kontakt kommt. Das alles lernen wir im ersten Teil, der am Abend vor Weihnachten und mit Rückblenden spielt, in denen wir vor allem die Dame des Hauses und ihre Vergangenheit kennenlernen, die reich an Erlebnissen ist.
Alles gipfelt schließlich in Ostern, wenn sich alle Familienmitglieder in ihre speziellen Abenteuer aufmachen: Russ bekommt es so hingedreht, dass seine Angebetete doch mit auf den Crossroadsausflug ins Reservat der Native Americans mitkommt. Crossroads ist ein kirchlicher Jugendclub, den Russ früher mit dessen zweiten charismatischen Leiter Ambrose führte, bis es zu einem Zerwürfnis kam. Wegen Frances versöhnt er sich mit Ambrose und fährt mit den jungen Leuten zu den Navajos.
Am Scheideweg
Es geht um Moral, Religion und Vergebung. Also all die großen Mythen des 20. Jahrhunderts. Der Roman lässt einen atemlos und sehr gespannt auf die nächsten Teile der Geschichte zurück, denn Crossroads ist als Trilogie angelegt. „Crossroads“ bedeutet im übertragenen Sinne aber auch Scheideweg, an dem sich die Familienmitglieder und die USA befinden. *
Hamster im Hinteren Stromgebiet
Das schafft nur der ehemalige Burgschauspieler Joachim Meyerhoff, dass man über einen Bericht aus einem Stroke Unit in Wien oft lauthals lachen muss. Im fünften Band seiner gnadenlosten Autobiografie (Kiepenheur & Witsch) lernen wir außerdem seine Töchter und seinen Sohn kennen, er nimmt uns mit auf Reisen nach Norwegen, Mallorca und Afrika. Und einen leichten Schlaganfall in all seinen Facetten zu beschreiben, gelingt ihm ganz „nebenbei“ auch noch hervorragend.
Das Leichte ins Schwere zu bekommen, darin ist Meyerhoff ein echter Meister. Ich wünsche ihm viel Gesundheit und dass er noch mindestens fünf weitere Bücher schreibt. *
Der leere Platz
Keine leichte Kost: Marlen führt ein sorgenfreies Leben mit ihrer Familie in Marokko. Bis sie eines Tages Veränderungen an ihrem Sohn bemerkt. Das gipfelt schließlich darin, dass er monatelang verschwunden bleibt. Es stellt sich heraus, dass Kai an einer psychischen Krankheit leidet. Ein qualvolles Hin und Her beginnt. Versuche in Marokko mit einem Straßenhund, Einlieferung ein eine Klinik in Deutschland. Marlen zieht dorthin, um in seiner Nähe zu sein und gibt sich selbst fast auf. Das ist alles gut und sehr eindringlich geschrieben. Trotzdem bunt und tief. Die Sorgen der Mutter konnte ich schmerzhaft nachempfinden.
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