Ukraine, Berlin, Neufundland – neue Bücher für den Frühling
Literatur über die Ukraine und von ukrainischen Schriftsteller*innen sprießen gerade natürlich wie Frühlingsblumen aus der Erde. Zwei davon wollen wir euch unter anderem vorstellen. Es gibt aber auch Neues von Ewald Arenz („Alte Sorten“, „Der große Sommer“) und Bobbi French, also bitte weiter nach unten durch!*
Irina Kilimnik: Sommer in Odessa (Kein & Aber)
Die Autorin wurde 1978 in Odessa geboren und kam im Alter von 15 Jahren nach Deutschland, wo sie Humanmedizin studierte. Auch ihre Protagonistin Olga studiert auf Drängen ihrer Familie Medizin in der Stadt am Meer. Sie lebt zusammen ihrer Mutter, zwei Tanten und ihren Cousinen in einer großen Wohnung, über die aber eigentlich der Großvater als typischer Patriarch herrscht. Es ist Sommer, Olga will eigentlich gar nicht Ärztin werden, sie hängt lieber mit ihrer besten Freundin Mascha oder ihrem Studienkollegen, dem Inder Rajdesh, ab und sehnt sich nach ihrer ersten großen Liebe, dem Pianisten Sergej.
Zur Geburtstagsfeier des Großvaters taucht sein Alter Freund David auf, der etwas Bewegung in das erstarrte Leben der Familie bringt. Er fördert auch ein streng gehütetes Familiengeheimnis zutage. Am Rande bekommt man etwas von proukrainischen gegen kommunistische Auseinandersetzungen mit, aber letztendlich bleibt es eine leichte Sommergeschichte mit Coming-of-Age-Momenten.
Erin Litteken: Denk ich an Kiew (Lübbe)
Die Autorin ist in den USA aufgewachsen, hat aber ukrainische Vorfahren. Die Rahmenhandlung dreht sich um die junge Witwe Cassie und ihre nach dem Unfalltod ihres Vaters verstummte Tochter Birdie, die bei Cassies Großmutter einziehen, um die alte Dame im Blick zu haben und ein neues Leben zu beginnen. Als sie beginnt, überall Lebensmittel zu verstecken, fängt Journalistin Cassie an nachzuforschen, was es vor allem mit einer gewissen Alina auf sich hat.
Die Geschichte geht zurück in die 1930er-Jahre in einem Dorf bei Kiew. Unter der Herrschaft Stalins starben damals im sogenannte „Holidomor“ („Tod durch Hunger“) schätzungsweise drei bis sieben Millionen Menschen an Unterernährung, obwohl die Kornspeicher der Ukraine voll waren. Katja, Cassies Großmutter, überlebt und kann schließlich in die USA emigrieren. Die Geschichte ihrer Familie, die fast komplett ums Leben kam, wird hier nacherzählt.
Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, das einen dankbar werden lässt für das, was wir alles haben. Klar, die Rahmengeschichte ist etwas kitschig, trotzdem ist es spannend erzählt und zwei Euro aus jedem Verkauf gehen an die Aktion „Deutschland Hilft – Nothilfe Ukraine“.
Anne Köhler: Nicht aus der Welt (Dumont)
Ein Buch, das viel könnte, aber in einer Idee stecken bleibt. Was wäre, wenn es einen Ort in der Großstadt Berlin gäbe, an den man sich während einer Lebenskrise kostenlos und spurlos zurückziehen könnte, um neue Energie zu tanken? Diesen Traum verwirklicht der spleenige Hotelbesitzer Valentin zum Beispiel für die überforderte Mutter und Professorin Friederike oder Hempel, der von seiner perfektionistischen Verlobten Elfie dazu gedrängt wurde, einen Traum zu verwirklichen, der gar nicht seiner ist. Beide stecken in einer Sackgasse und treffen in dem versteckten Wohnprojekt auf andere schräge Typen. Am Ende geht es noch auf’s Land, aber dann hört der Roman einfach irgendwie auf, und viele gute Ideen greifen einfach nicht wirklich ineinander. Trotzdem unterhaltsam und ungewöhnlich.
Ewald Arenz: Die Liebe an miesen Tagen (Dumont)
Dass der Lehrer aus Nürnberg schreiben kann, davon braucht er niemanden mehr überzeugen. Und auch in seinem neuesten Roman ist die Atmosphäre dicht, die Schauplätze erscheinen plastische vor Augen und das Eintauchen ist garantiert. Ansonsten ist es einfach eine klassische Liebesgeschichte mit Hindernissen. Aber gerade das Einfache ist doch oftmals am bekömmlichsten. Clara und Elias verlieben sich auf den ersten Blick. Der Schauspieler ist aber noch mit Vera liiert, die er nicht wirklich liebt und der eine Tochter aus erster Ehe im Teenageralter hat. Die um ein paar Jahre ältere Clara hat ihren Mann wiederum an den Krebs verloren und hat sich in Beruf und Single-Dasein gut eingerichtet.
Ob es ein Happy End gibt, verraten wir hier nicht, auf jeden Fall gibt es viele weitere Komplikationen, die umschifft werden müssen. Spannend und atmosphärisch dicht. Nah am Kitsch, aber schön.
Bobbi French: Die guten Frauen von Safe Harbour (Diederichs)
Die ehemalige Psychiaterin ist in Neufundland und Labrador aufgewachsen und widmet sich jetzt ganz dem Schreiben. In ihrem ersten Roman geht es um Frances Delaney, die unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt und zusammen mit ihrem jungen Schützling Edie zurück in ihre Vergangenheit reist. Ungewollt schwanger fühlte sie sich nach der Entlassung aus einer Art Kloster, in der sie ihr Kind zur Welt brachte und wo es ihr weggenommen wurde, schuld am Freitod ihrer Mutter. Schließlich zerbricht auch noch die wertvolle Freundschaft mit Annie wegen eines Mannes, sie zieht weg in die Großstadt, verwirklicht ihre Pläne, zu studieren nie und wird Reinigungskraft. Erst die erschütternde Diagnose lässt sie innehalten. Eine mitreißende Geschichte, die einen nachdenklich zurücklässt. Froh, in einer ganz anderen Gesellschaft und Möglichkeiten leben zu dürfen.
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