Die Erschöpfung der Frauen – Interview mit Franziska Schutzbach

14. Februar 2022 | immer.dasleben

Kinder, Küche, Kirche – das war einmal. Heute sind es Kinder, Küche, Job, Haushalt, Partner, Freundschaften, Sport und ein enormer Druck durch soziale Medien und eine gewisse „Forever-Young“-Vorgaukelei durch die Medien.

„Nach wie vor wird von Frauen verlangt, permanent verfügbar zu sein – familiär, beruflich, sexuell, gesellschaftlich.“

Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach legt in ihrem wichtigen Buch „Die Erschöpfung der Frau“ (Droemer Knaur) den Finger in die Wunde eines Systems, das von Frauen alles erwartet, aber nichts zurückgibt. Wir durften ihr ein paar Fragen zum Thema stellen.

Sie wollten dieses Buch schon länger schreiben, aber waren zu erschöpft, warum?

Ich hatte zwei kleine Kinder und saß an meiner Doktorarbeit. Es waren zehrende Jahre, ich spreche in meinem Buch von einer „radikalen Pausenlosigkeit“. Ich zerbrach damals fast unter dem psychischen und physischen Gewicht der Verantwortung als Mutter. Die elterliche Verantwortung macht sehr verletzlich. Die enge Bindung an Kinder, deren absolute Abhängigkeit, die damit verbundene Emotionalität und pausenlose Zuständigkeit bringen vor allem Frauen in eine fragile Position, besonders in einer Welt, die der Bedürftigkeit von Menschen gegenüber strukturell rücksichts­los ist.

Franziska Schutzbach. Foto: Anja Fonseka/Droemer Knaur

Die Zuständigkeit für Kinder macht auf eine Weise vulnerabel, wie man sie von anderen Arten der Arbeit nicht kennt. In anderen Arbeitsverhältnissen können Arbeitnehmer:innen ihren Chef oder ihre Vorgesetzte kritisieren oder fürchten, sie können zur Gewerkschaft gehen, den Personalrat informieren, kündigen oder selbst Chefin werden. Mit Kindern ist es anders: Man kann als Mutter nicht einfach die Kinder ablehnen, einen Aufstand starten oder streiken. Das Verhältnis ist komplizierter und ambivalenter. Gefühle tiefer Liebe, Befriedigung und Verbundenheit können gleichzeitig existieren wie Gefühle der Ablehnung, Überforde­rung und Einsamkeit.

Sie sprechen von der Entwertung negativer Emotionen. Wie kommt es dazu?

In unserer Gesellschaft herrscht eine Glücksdoktrin. Im Zuge der rasenden Beschleunigung sozialer und ökonomischer Prozesse hat eine Entwertung von negativen Emotionen stattgefunden. Da sie der Produktivität im Wege stehen. Negative Emotionen sollen unter Verschluss gehalten werden, es gibt eine Art Zwang zum positiven Denken, ja zum Glücklichsein. Krisen, Zweifel und das Scheitern sind nur dann erlaubt, wenn daraus irgendwann ein Nutzen gezogen werden kann. Das heißt auch Krisen müssen als Erfolgsstory erzählt werden, „Krankheit als Weg zu betrachten“, oder „Erschütterung als Erweckung“. Dadurch entsteht ein enormer Druck, wenn wir nicht sagen dürfen: Das hat mich einfach geschwächt. Und basta. Diesem Druck möchte ich mit meinem Buch entgegenwirken.

Ich nehme negative Emotionen ernst und verbinde sie mit einer kritischen Analyse der Gesellschaft. Das heißt ich zeige die Strukturen, die der Erschöpfung zugrunde liegen, ohne gleich zu sagen, dass Frauen diese und jene Optimierungen in ihrem Leben vornehmen müssen, und damit noch mehr Druck und Erschöpfung zu verursachen.

Frauen müssen nicht noch perfekter, gesünder, organisierter und so weiter leben. Manche Ratgeber haben leider genau diesen Effekt, sie treiben uns noch mehr in die Erschöpfung.

Woher kommt der Perfektionismus der Frauen, die sich zwischen Kindern und Karriere aufreiben?

Frauen sind auch heute mit anderen Anspruchshaltungen konfrontiert als Männer. Sie müssen perfekter im Job sein, wenn sie erfolgreich sein wollen, immer toll aussehen, und wenn ein Kind Probleme hat, werden diese auf die Mutter zurückgeführt. Frauen werden nicht einfach als Menschen betrachtet, von ihnen wird nach wie vor erwartet, dass sie gebende Menschen sind. Sie schulden anderen unterschiedliche Arten von Unterstützung, auch solche, die über die Familien- und Hausarbeit hinausreicht: Bewunderung, Liebe, Wohlwollen, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Mitgefühl. Oder Sex. Diese oft widersprüchlichen Ansprüche vermitteln Frauen das Gefühl, wie wären nur ein guter Mensch, wenn sie perfekt sind.

Was könnte helfen?

Es gibt verschiedene Ansätze, die ich meinem Buch auslote. Zum einen brauchen wir mehr Zeit und Ressourcen, um die lebensnotwendige Sorgearbeit erledigen zu können, ohne komplett zu erschöpfen. Das geht nur, wenn wir Erwerbsarbeit verkürzen, Teilzeit für alle ermöglichen und auf diese Weise Sorgetätigkeiten aufwerten und gerechter unter allen Menschen verteilen. Denn bisher machen die Frauen die meiste unbezahlte Sorgearbeit und arbeiten dadurch insgesamt mehr als Männer. Ferner müssen wir noch mehr kritisches Bewusstsein in Bezug auf Geschlechterstereotype entwickeln. Wir sind alle immer noch stark geprägt und getrieben von extrem normativen Vorstellungen, was eine «Frau» oder was «ein Mann» ist. Diese Vorstellungen sind für uns alle aber eigentlich erschöpfend und wir müssen versuchen, mehr Freiheit zu ermöglichen.

Kommt das Matriarchat in naher Zukunft?

Wenn damit gemeint ist, dass in Zukunft Frauen herrschen, so wie bisher Männer geherrscht haben, dann hoffe ich nicht. Das Ideal kann keine neue Herrschaftsform sein. Ich würde mir wünschen, dass wir andere Werte ins Zentrum der Gesellschaft und der Wirtschaft rücken. Werte wie Fürsorglichkeit, Kooperation, Achtsamkeit…Werte, die in den Tätigkeiten, die bisher vor allem Frauen übernehmen, stark vorhanden sind. Diese Werte gilt es, für alle stark zu machen.

* Das Cover enthält einen sogenannte Affiliate-Link, das heißt, wenn du das Buch nach dem Klick dort kaufst, kostet dich das keinen Cent mehr, wir verdienen ein paar zum Erhalt dieses Magazins. Danke!

Ursula Gaisa

1968 in Schwandorf geboren. Studium Anglistik und Germanistik. Seit 1994 beim ConBrio Verlag. Journalistin, Buchautorin und Herausgeberin von immerschick.de

Ähnliche Beiträge

SuperME von Supernaturals – geballte Mikronährstoff Power
SuperME von Supernaturals – geballte Mikronährstoff Power

Werbung. Das klingt doch einfach zu gut, um wahr zu sein oder? Ein Mikronährstoffkonzentrat, das man einmal am Tag mittels einer lecker schmeckenden Trinkampulle zu sich nimmt und das einen mit allem versorgt, um energiereich und gesund in den Tag zu starten, oder?...

Frauengesundheit mit Olivia: Schnupfen und Immunsystem
Frauengesundheit mit Olivia: Schnupfen und Immunsystem

Jedes Jahr schniefen, rotzen, husten? Oder: Warum ein Schnupfen manchmal gar nicht so blöd ist und wie wir unser Immunsystem fit halten in der kalten Jahreszeit. Artikel, in denen es Tipps gibt, um das Immunsystem zu stärken, die gibt es zuhauf in allen gängigen...

Sonntags-Kolumne: Morgen-Mensch – Abend-Grinch
Sonntags-Kolumne: Morgen-Mensch – Abend-Grinch

Allein über den Titel dieses Beitrags habe ich mir wirklich tagelang den Kopf zerbrochen. Nenne ich die Kolumne Dr. Jekyll & Mister Hyde, beziehungsweise Mrs Hyde? Oder frei nach Trapattoni einfach nur „Flasche leer“? Es geht nämlich ganz grob gesagt um meinen...

Vorbilder: Petra Orzech ist FIBO-Botschafterin
Vorbilder: Petra Orzech ist FIBO-Botschafterin

Sicher erinnert Ihr euch noch an Petra Orzech, die über Jahre das Ressort Frauengesundheit auf immerschick.de betreut hat? Einmal im Monat gab es ein Video zum Thema Yoga und Ernährung. Petra ist studierte Ernährungswissenschaftlerin und hat in ihrem Leben ü50 bereits...

Gesundbrunnen Kaltbaden, Eisschwimmen – Erfahrungen, Effekte
Gesundbrunnen Kaltbaden, Eisschwimmen – Erfahrungen, Effekte

Dieses Jahr schaffe ich es! Jawohl. Kalt- oder Eisbaden ist ja seit ein paar Jahren absolut im Trend. Aber bisher war die Vorstellung, mich im Bikini bei 10 Grad Außentemperatur in 10 Grad kaltes Wasser zu begeben, alles andere als angenehm. Ich denke, man muss den...

Sonntags-Kolumne: Erdung im Wald
Sonntags-Kolumne: Erdung im Wald

Ja, ich bin wirklich viel unterwegs - auf Pressereisen. Ich und war und bin in vielen schönen Hotels zu Gast, aber dort bin ich auch zum Arbeiten und nicht zum Urlaub machen. Vor allem danach geht es ans Artikel schreiben, Bilder sortieren und und und. Ich will nicht...

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hallo!

Herzlich willkommen bei immerschick.de. Dieses ü50-Blogzine soll von allem handeln, was das Leben einfacher, schöner und interessanter macht: von gesunden, aber leckeren vegetarisch-veganen Rezepten, modischen Anregungen, Beauty und Lifestyle, Reisen und spannenden Büchern. Nachhaltigkeit und Slow Fashion liegen uns besonders am Herzen. Denn vielleicht können wir die Welt ein kleines bisschen besser machen.

Unsere Krimi-Komödie

Newsletter

Bitte wählen Sie aus, wie Sie von uns hören möchten:

Sie können sich jederzeit abmelden, indem Sie auf den Link in der Fußzeile unserer E-Mails klicken. Informationen zu unseren Datenschutzpraktiken finden Sie auf unserer Website.

We use Mailchimp as our marketing platform. By clicking below to subscribe, you acknowledge that your information will be transferred to Mailchimp for processing.Learn more about Mailchimp’s privacy practices here.