Hochsensibilität: Fachberaterin Nina Payer
Nina Payer ist Fachberaterin für Hochsensibilität und NESC-Coach und unterstützt in ihrer Online-Coachingpraxis hochsensible und gefühlsstarke Frauen dabei, mit Hilfe eines regulierten Nervensystems ihre Bedürfnisse und Grenzen wieder spüren zu lernen, innere Sicherheit zu verankern und hinderliche Blockaden und Prägungen nachhaltig aufzulösen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Mittelhessen und hat selber einige Zeit gebraucht, um ihre eigene Hochsensibilität zu verstehen, anzunehmen und zu nutzen. Im Interview verrät sie uns mehr dazu.
Wie hast du gemerkt, dass du hochsensibel bist und war es vorher hinderlich für dich?
Schon als kleines Kind hatte ich eine starke Wahrnehmung. Ich saugte alle möglichen Reize in meiner Umgebung auf und nahm vieles wahr, was andere Kinder offensichtlich nicht bemerkten. Das führte dazu, dass ich schnell überfordert, aber auch schnell verängstigt war. Der Kindergarten war für mich extrem anstrengend! So viele Geräusche, Farben, tausend Dinge um mich herum, so viele Möglichkeiten zum Spielen, so viele andere Kinder und Stimmungen… puh! Und in der Schule ging es so weiter. Ich war eine gute Schülerin, aber laut den Lehrern „viel zu still“. Am liebsten war ich zu Hause, brauchte schon immer viel Zeit für mich alleine, um die Batterien für den Alltag wieder aufzuladen.
Was die kleine Nina allerdings schon hervorragend konnte, war beobachten und zuhören! Bei Familienfeiern oder anderen Festlichkeiten konnte ich stundenlang auf meinem Platz sitzen, die Menschen um mich herum beobachten und den verschiedenen Gesprächen lauschen. Mein Interesse und meine Neugier, warum jemand so ist, wie er ist, begann tatsächlich schon damals.
Damals, in den 80ern, hat natürlich noch niemand von „Hochsensibilität“ geredet. Ich war halt einfach viel zu ruhig, zu empfindlich, irgendwie nicht normal, komisch. Das wurde mir auch von meiner Umgebung so gespiegelt und natürlich glaubte ich auch irgendwann, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt.
Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin gemacht, weil ich in Sprachen ganz gut war und außer einem Bürojob nicht wirklich etwas anderes für mich in Erwägung gezogen wurde. Als Jugendliche hatte ich noch davon geträumt Hebamme, Sozialpädagogin oder Psychologin zu werden – alles Berufe, wo man eng mit anderen Menschen zu tun hat – aber wie sollte das denn funktionieren, wenn ich doch so still und komisch war!?
Was stimmt mit mir nicht?
Letztendlich habe ich fast zehn Jahre in internationalen Wirtschaftskanzleien in Frankfurt gearbeitet, super gut verdient. Und habe mich dort die ganze Zeit einfach nur total falsch gefühlt. Ich war auf ein extrem karriereorientiertes Umfeld gestoßen, mit Umgangsregeln, die ich offensichtlich nicht verstanden habe. Ständig schien ich in Fettnäpfchen zu treten und kam mir vor, wie ein Alien. Was stimmte mit mir nicht, dass ich dort in diesem Umfeld einfach nicht klarkam und völlig überfordert war? Die Arbeit an sich war nicht das Problem, abgesehen davon, dass ich sie todlangweilig fand. Aber warum schien ich die unausgesprochenen Regeln dieses Umfelds nicht zu verstehen, wenn ich doch eigentlich sehr viel auf- und wahrnehme?!
Heute weiß ich, dass ich einfach an einem Ort gelandet war, wo ich überhaupt nicht hingepasst habe. Dass die Werte und Regeln, die dort geherrscht haben, nicht meine waren. Dass dieses Umfeld und diese Arbeit überhaupt nicht zu mir und meinen eigentlichen Stärken gepasst hat! So einfach!
Wie bist du HSP-Coach geworden und warum? Wie hast du dich aus-/weitergebildet?
Das hat sich ganz langsam entwickelt. Nachdem ich die Wirtschaftskanzlei verlassen hatte und meine Kinder bekommen habe, folgte auch noch ein Umzug, raus aus dem Rhein-Main-Gebiet und zurück aufs Land. Nach einer ziemlich dramatischen und traumatischen Geburtserfahrung, war ich mehr oder weniger gezwungen, mich tiefergehender mit mir selbst zu beschäftigen und in diesem Zusammenhang tauchte auch das Thema Hochsensibilität immer wieder auf.
Ich habe meine Elternzeit voll ausgenutzt und als mein Jüngster kurz davor war, in den Kindergarten zu kommen, kam natürlich die Frage auf: Wie geht es für mich beruflich weiter?! Alles, was ich wusste war, dass ich auf keinen Fall zurück in meinen alten Job wollte.
Durch Zufall bin ich dann auf den Beruf der Mütterpflegerin gestoßen und war begeistert! So eine Rundum-Versorgung hätte ich in meinem letzten Wochenbett auch gut gebrauchen können und nach kurzem Überlegen entschloss ich mich die einjährige Ausbildung zu absolvieren. Das war dann auch der absolute Gamechanger! Ich betrat plötzlich eine Welt, in der ganz andere Werte zählten als in der karriere- und leistungsorientierten Wirtschaftswelt. Und wow, plötzlich war meine Hochsensibilität, die in meinem bisherigen Arbeitsleben immer als Schwäche galt, eine absolute Stärke! Das war eine ganz neue Erfahrung!
Großer Redebedarf
Schon während meiner Tätigkeit als Mütterpflegerin habe ich immer wieder gemerkt, wie groß der Redebedarf bei den betreuten Müttern war. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass man Gleiches anzieht oder eher daran, dass hochsensible Frauen sich vielleicht eher unterstützen lassen, aber ich hatte tatsächlich einen sehr hohen Anteil an hochsensiblen Frauen unter meinen Müttern, die alle mit den gleichen Herausforderungen und Glaubenssätzen zu kämpfen hatten. Sehr gerne hätte ich sie diesbezüglich noch effektiver unterstützt, nicht nur durch praktische Alltagshilfe und Zuhören. Da kam dann auch das erste Mal der Gedanke auf, eine Coachingausbildung zu machen.
Realität wurde es dann aber erst im Sommer 2020, als mir durch die Pandemie erst mal alle Aufträge und Anfragen weggebrochen sind und ich dachte: Das ist der Moment! Diese „freie“ Zeit nutze ich jetzt und mache eine Weiterbildung zur psychologischen Beraterin und Personal Coach – damals noch mit dem Gedanken, dass ich anschließend nebenbei als Müttercoach arbeiten würde.
Aber wie das so ist, mit Coachingausbildungen, beschäftigt man sich auch sehr viel mit sich selbst und bringt die eigene Persönlichkeitsentwicklung weiter voran. Und am Ende der Weiterbildung war für mich klar, dass ich mich eigentlich gar nicht als Müttercoach sehe, sondern mich tatsächlich auf hochsensible Frauen konzentrieren möchte. Das war für mich ein großer Schritt, weil ich mich dadurch auch ganz öffentlich als „hochsensibel“ oute. Es kursieren da draußen ja immer noch so viele Vorurteile oder Fehlinformationen, die Hochsensibilität als eine Traumafolge oder gar als etwas Spirituelles oder Übersinnliches darstellen. Davon möchte ich mich klar distanzieren und dabei mithelfen, aufzuklären.
Im Anschluss an meine allgemeine Coachingausbildung habe ich mich deshalb auch noch zur Fachberaterin für Hochsensibilität am B.I.E.K Institut weitergebildet und im letzten Jahr noch eine weitere Weiterbildung zum NESC-Coach absolviert.
Du bietest zwei Module an oder? Einmal Coaching und was genau ist NESC?
Ja, momentan biete ich zum einen Beratung zum Thema Hochsensibilität an. Dabei schaue ich mir mit meinen Klientinnen an, welche Facetten der Hochsensibilität bei ihnen zutreffen oder ob es sich vielleicht doch eher um eine Hypervigilanz handelt (= eine durch Trauma hervorgerufene Hypersensitivität, die für die Betroffenen extrem belastend ist und therapeutisch behandelt werden muss, während eine richtige Hochsensibilität angeboren ist, keine Störung oder Erkrankung darstellt und von den Betroffenen sowohl positiv als auch negativ empfunden wird).
Es geht hauptsächlich darum, mit dem Wissen um die eigenen Hochsensibilität ein neues Selbstbild zu entwickeln, eventuell vergangene Ereignisse neu zu interpretieren, dadurch den eigenen Selbstwert und die Selbstwirksamkeit zu stärken und natürlich auch darum, den eigenen Alltag zu analysieren und zu schauen, wo kann man mehr oder weniger tun um den hochsensiblen Bedürfnissen gerechter zu werden. Das ist alles sehr ziel- und lösungsorientiert.
Allerdings habe ich (auch aus eigener Erfahrung) gemerkt, dass das Problem oft gar nicht darin besteht, dass man nicht weiß, was man eigentlich will und braucht und wie man das umsetzt. Das wissen nämlich die meisten meiner Klientinnen ganz genau! Oft haben sie sich selbst schon länger mit Persönlichkeitsentwicklung auseinandergesetzt und sind sehr reflektiert. Und trotzdem funktioniert die herbeigesehnte und oft auch ganz strategisch geplante Veränderung einfach nicht! Vielleicht anfangs, aber nach einiger Zeit fallen sie doch wieder zurück in alte Muster.
Schnelle Überreizung
Das liegt daran, dass ein chronisch dysreguliertes Nervensystem gar keine Veränderungen zulässt – und gerade HSP tendieren durch die schnelle Überreizung, die intensive Wahrnehmung und emotionale Intensität zu einem dysregulierten Nervensystem! Alles Neue wird erstmal als potenzielle Gefahr empfunden und ganz unbewusst laufen sofort diverse Sicherheitsprogramme an, die die geplante Veränderung sabotieren.
Das heißt, erstmal muss das Nervensystem raus aus der Dysregulation, dem ständigen Stress- und Alarmmodus – sonst geht gar nichts. Und hier kommt NESC ins Spiel. NESC steht für Neuro-Embodied-Soul-Centering® und ist eine von Britta Kimpel entwickelte körperorientierte Coachingmethode, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und sich aus verschiedenen Elementen der Psychologie, (Neuro-)Wissenschaft, Embodiment und Energiearbeit zusammensetzt.
Hier arbeiten wir nicht lösungsorientiert mit dem Denken bzw. dem Verstand, sondern über Körperempfindungen direkt mit dem Nervensystem. Es geht darum, sich selber wieder spüren und annehmen zu lernen und so dem Nervensystem wieder Sicherheit im eigenen Körper zu geben. So lernt man Schritt für Schritt sein Nervensystem wieder zu regulieren und dann können auch die nötigen Veränderungen (aus)gehalten werden.
Wobei das dann oft gar nicht mehr nötig ist! Denn ein reguliertes Nervensystem spürt sehr schnell und klar, was du gerade brauchst und wo deine Grenzen sind – und handelt dann ganz automatisch aus diesem Gefühl heraus. Auch wird Stress in vielen Situationen plötzlich gar nicht mehr als so belastend empfunden, weil der Grundzustand des Nervensystems im regulierten Zustand ein ganz anderer ist. Ich finde diese Arbeit unglaublich faszinierend und profitiere auch selber stark davon.
Wie kann das über Zoom funktionieren?
Eine gute Verbindung bzw. Energie lässt sich auch über Zoom ohne Probleme herstellen, wenn die Chemie stimmt. Und gerade NESC funktioniert über Zoom besonders gut – gerade für Menschen mit einem dysregulierten Nervensystem. Auf eine NESC-Session musst du dich einlassen können und offen sein, für das, was sich zeigt. Das können auch mal unangenehme Empfindungen sein, die gesehen werden wollen. Ich halte den Raum, wir sind ungestört und alles darf sein! Gerade für HSP ist das nicht einfach auszuhalten. Aber wenn du dich in deiner gewohnten Umgebung befindest, mit allem in Reichweite, was du brauchst um dich zu entspannen, dann hilft das sehr, um sich auf diesen Prozess einlassen zu können. Wenn gewünscht, können wir sogar die Kamera ausstellen, so dass die Klientin sich während der Session nicht beobachtet fühlt. Das gibt ganz viel Sicherheit, so dass man sich auch wirklich auf den Prozess einlassen kann!
Außerdem besteht die Möglichkeit, hinterher einfach noch ein bisschen sitzen zu bleiben, nachzuspüren oder ein paar Notizen zu machen. NESC wirkt immer noch nach und die meisten meiner Klientinnen sind nach so einer Session erschöpft und müde. Möchten vielleicht noch ein bisschen über das gerade erlebte nachdenken oder sich eine halbe Stunde hinlegen. Da ist es natürlich praktisch, wenn man einfach nur den Laptop ausschalten und sich aufs Bett oder auf die Couch legen kann, anstatt raus auf die Straße geschickt zu werden, wo man gleich wieder mit allerlei Reizen überflutet wird, die die eben gemachte Erfahrung sofort überlagern.
Deine drei besten Tipps für hochsensible Frauen und Mütter?
- Lerne deine Hochsensibilität zu verstehen, indem du dir Wissen zu diesem Thema aneignest. Achte dabei allerdings auf die Seriosität der Quellen.
- Finde heraus, was dir wirklich gut tut. Und was nicht! Hör auf dich zu vergleichen oder so sein zu wollen, wie die anderen. Das zieht dir nur unglaublich viel Energie und wird auf Dauer nicht funktionieren.
- Lerne dein Nervensystem zu regulieren. Deine hochsensiblen Facetten werden dadurch zwar nicht verschwinden, aber ein regulierter Grundzustand deines Nervensystems erweitert auch deine Kapazitäten mit vielen Reizen umzugehen.
Deine drei Buchtipps zum Thema HSP?*
- Alle Bücher von Elain N. Aron, der Pionierin wenn es um das Thema Hochsensibilität geht. Sie hat das Thema seit den 1990er Jahren zusammen mit ihrem Mann immer weiter erforscht und verschiedene wissenschaftliche Studien erstellt. Ihr Buch „Sind Sie hochsensibel?“ gilt als Standardwerk auf diesem Gebiet und ist sehr zu empfehlen, gerade für Anfänger(innen).
- „Hochsensibel durch den Tag“ von Sabine Dinkel ist ein sehr praxisnahes Buch. Es gibt Tipps für den Alltag, den Arbeitsplatz, zur Tagesgestaltung, bezüglich Freundschaften und Partnerschaft für hochsensible Menschen, inklusive Notfall-Pläne für die verschiedensten Situationen.
- „Hochsensible Mütter“ von Brigitte Schorr. Ein Buch, das mir persönlich sehr geholfen hat, zu verstehen, was passiert, wenn eine hochsensible Frau Mutter wird.
Zu Nina und ihren Angeboten geht es hier.
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