Lesen: Buchtipps für den Herbst 2025

Eine Leseherbst vom Feinsten ist das. Folgende fünf Bücher haben mich während meiner Oktober-Urlaubstage und schon vorher bestens unterhalten, amüsiert und zum Teil zu Tränen gerührt. Mit der richtigen Lektüre wird die kalten Jahreszeit doch gleich ein Stück erträglicher oder? Los geht’s…
Julia Engelmann: Himmel ohne Ende (Diogenes)
Mmh, dachte ich, wieder so ein Coming of Age Buch. Mmh, nicht so meine Altersklasse. Aber von Julia Engelmann, dachte ich. War das nicht die von „One day, Baby…“? Beziehungsweise „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein…“ Das war übrigens 2013, als sie das in einem Hörsaal Poetry slammte und viral ging.*
Und der Roman erscheint bei Diogenes, dachte ich. Ok. Lesen. Was soll ich sagen, ohne zu viel vorweg zu nehmen, es hat sich so was von gelohnt. „Himmel ohne Erde“ hat alle nötigen Elemente: eine zornige junge Heldin namens Charlie, die auf der Suche nach Zugehörigkeit ist, Verzweiflung, einen Freund, der überraschend auf der Bildfläche erscheint und jede Menge Konflikte. Die beste Freundin bevorzugt plötzlich eine andere, der Vater hat sie verlassen, und die Mutter lernt einen „Italiener“ kennen, der als Kellner arbeitet.



Charlie lernt aber eines Tages Pommes näher kennen, der so ganz anders ist als sie, und ihr zeigt, dass das Leben doch schön und schnell und laut sein kann. Man mehr Menschen ins Herz schließen kann als die eine. Das wäre alles nun nicht so besonders, aber Julia Engelmann kann einfach gut schreiben, sie schafft Atmosphäre:
„Später holten Artem und Daria ein paar Pizzen aus der Pizzeria unten, und nach dem Essen spielten die anderen noch eine Runde Wizard, und ich legte mich auf den Boden, schob mich rücklings über das Laminat bis an die offene Balkontür, bis mein Scheitel die Schwelle erreichte. Von hier aus konnte ich den Abendhimmel sehen, der blass war und weit, und nur eine Reihe winziger Wolken wurden in glühendem Orange angeleuchtet. Ab und zu wehte mir ein kleiner, leichter Wind übers Gesicht und blähte die Vorhänge, bevor sie im nächsten Moment wieder in sich zusammenfielen wie Wellen, die groß an einen Strand gespült kamen, sich hoch aufbäumten und dann wieder zurückflossen. Ein paar Häuser weiter spielte jemand Akkordeon, was sich mit in den Klangteppich wob. Ich konnte das Geschirrklappern, Gläserklirren, die Stimmen, das Gelächter von den Restaurants und Bars hören. Ich schloss die Augen…“
Oder:
„Nachts konnte ich nicht schlafen. Ich musste weinen, aber nicht, weil ich traurig war, sondern weil alles so schön war und so flüchtig, und ich fand es unfair, dass die Momente, in denen mir mein Leben am kostbarsten vorkam, auch immer die Momente waren, in denen mir bewusst wurde, wie fragil das alles war und dass es höchstens noch einen Wimpernschlag lang hielt.“
Freunde, Familie, Reisen, was will ich werden, was will ich aus meinem Leben machen. All das beschäftigt Charlie, aber mich auch noch in meinem fortgeschrittenen Alter. Das Buch ist eine echte Leseempfehlung und hat mich berührt.

Benjamin Myers: Strandgut (Dumont)
Earlon „Bucky“ Bronco fristet seit dem Tod seiner geliebten Frau Maybelle ein Leben zwischen Apotheke und Bett, seine Hüftbeschwerden bekämpft er mit den stärksten Schmerzmitteln, beziehungsweise Opioiden, die es gibt. Da flattert eine Einladung ins Haus, die es in sich hat. Er ist eingeladen, auf einem Northern Soul Festival in Scarborough zu singen. Flug, Hotel plus gute Gage inklusive. Bucky glaubt an einen Scherz. Da aber der Todestag seiner Frau just auf dieses Wochenende fällt, sagt er zu.
Anfangs dachte ich, dass es der Geschichte von Sixto Rodriguez und der großartigen Doku „Searching For Sugarman“ sehr ähnelt. In der englischen Soul-Szene ist Bucky nämlich wegen zwei seiner Lieder, die er mit 17 komponierte und sang, eine echte Berühmtheit, während ich in seiner Heimat, den USA niemand mehr kennt. Aber der Roman ist anders und sehr lesenswert. Nicht nur für Musikliebhaber.



Bucky vergisst seine Tabletten im Flugzeug und leidet das ganze Wochenende über an schlimmen Entzugserscheinungen, die er mit Whisky und Zigaretten zu betäuben versucht. Gut, dass sich Dinah um ihn kümmert. Die lebenskluge Mitfünfzigerin lebt mit ihrem Alkoholiker-Ehemann und einem spielsüchtigen erwachsenen Sohn zusammen, die ihr beide gehörig auf den Senkel gehen. Sie vergöttert Bucky und vor allem den Song „Until The Wheels Fall Off“, sie sorgt dafür, dass der alte Mann etwas isst und letztendlich seinen Auftritt schafft. Untergebracht ist Bucky in einem riesigen Hotel direkt am Meer, das auch eine wichtige Rolle im Buch spielt. Kauzige, vom Leben gebeutelte Charaktere, die durch die Musik wieder zu Kräften kommen. Schön aufgeschrieben und kurzweilig.

Marie Luise Ritter: Die Suche nach Zuhause (Piper)
Oder „Von der Sehnsucht nach einem Ort, an den wir hingehören“ – so lautet der Untertitel des neuen Buchs der jungen Influencerin und Autorin („Von der Kunst, das Leben leicht zu nehmen“). Die „Leichtigkeit“ stand im ersten Buch, das ich mit viel Freude gelesen habe, im Vordergrund. Nun begibt sie sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause. Als Single mit Hund hat sie bereits auf Mallorca und in Nizza, in Hamburg und Berlin gewohnt. Starke Gefühle für den Ort, an dem sie aufgewachsen ist, hegt sie nicht.



Und jetzt Paris. Immer schon wollte sie in Paris leben und macht es jetzt einfach. Wobei alles erst mal schon komplizierter ist. In der französischen Hauptstadt eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist nämlich eine echte Kunst. Zwei Freunde, die in einer WG zusammenwohnen, nehmen sie erst einmal auf und geben ihr ein erstes Heimatgefühl. Letztendlich geht es in dem Buch auch um Zugehörigkeit, Sicherheit, Sprache und das Gefühl, irgendwo dazu zu gehören. Wie und wo schlägt man als digitale Nomadin Wurzeln?
Den ersten Teil mit der Wohnungssuche und Paris fand ich sehr spannend, ich mag auch die Menschen, die Ritter gut beschreibt. Allerdings sind mir viele der Gedanken dann spiralartig und wiederkehrend in Erinnerung. Vielleicht auch, weil ich seit 25 in der gleichen Wohnung lebe? Genossen habe ich diesen Bericht aus einer ganz anderen Welt trotzdem alles in allem.

Chris Kraus: Die Sonne und die Mond (Diogenes)
„Was ist das denn für ein Titel“, hat meine lesebegeisterte Schwester gefragt. Und ist natürlich gewollt, dass man da drüber stolpert. Die Lösung ist natürlich ganz einfach, denn es geht um zwei Freundinnen, beziehungsweise Ex-Besties: Sonja, genannt Sonne, und Jana von Mond, die als „die Mond“ eine Fernsehkarriere hinter sich hat.



Chris Kraus ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Filmemacher und Drehbuchautor, das merkt man von ersten Satz an, alles schreit nach Verfilmung. Außerdem hat er 2023 seine Frau, die Filmeditorin Uta Schmidt verloren. Wahrscheinlich handelt der geniale Roman auch deshalb viel vom Tod. Sonne ist nämlich alternative Bestattungsunternehmerin geworden. Den Kontakt zu ihrer ehemals besten Freundin hat sie nach einem katastrophalen Bruch komplett angebrochen. Eines Tages steht die Mond aber vor ihrer Tür und will erstens ihren Ehemann, dessen Geliebt und deren ungeborenes Kind von ihr bestatten lassen und Unterschlupf vor ihrem sensationsgeilen Fernsehfans in ihrer Wohnung finden. Diese teilt Sonne mit ihrem Sohn, der Bluter ist, was die ganze Situation auch nicht gerade einfacher macht. Und dann ist da noch Samuel, der Mann an Sonnes Seite, dessen Rolle aber nicht ganz die ist, die der sich erträumt.
In einem Rutsch im Urlaub durchgesuchtet und am Ende geweint. Was soll man mehr dazu sagen? Die Figuren sind so lebensecht und bis in die kleinste Nebenrolle originell und herzergreifend. Eine echte Empfehlung und mein persönliches Buch 2025.

Heinrich Steinfest: Das schwarze Manuskript (Piper)
Um was es in den Romanen Heinrich Steinfests geht, ist eigentlich gar nicht so wichtig. (Auch wenn die Plots natürlich immer originell sind.) Die Ideen, die ganze Sprache sind es, die ihn einzigartig machen. So auch in seinem neuesten Werk rund um Ashok Oswald, der mit Vornamen so heißt, weil er eine indische Mutter hat, die sein Vater und Mathematiklehrer Michael Oswald bei einem Schau-Schachturnier in Wien kennengelernt hatte. Eigentlich war sie auf dem Weg zur Frauen-Schachweltmeisterschaft in Bulgarien gewesen, blieb aber dann bei Michael hängen. Amrita war die viel bessere Schachspielerin, bereute ihren Ausstieg aber nie, und kurze Zeit später kam Ashok auf die Welt.



Es geht wie immer viel um Wasser und das Schwimmen. So beginnt der Roman denn auch – im Schwimmbad des inzwischen über 60-Jährigen:
„Ashok Oswald ließ diesen Pool bauen, nachdem er im Alter von 35 Jahren zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen war. Wie jeden Morgen zieht er jetzt seine Bahnen durch das kühle Wasser, doch dieser Morgen ist ein besonderer: Drei Fremde zwingen ihn, sein Ritual zu unterbrechen und das Manuskript herauszugeben, das ihm vor vielen Jahren anvertraut wurde. Aber was ist so bedeutsam an diesem Buch, dass diese Leute zu allem bereit scheinen? Um das herauszufinden, gibt Ashok sein altes Leben auf.“



So viel zum Anfangsplot. Zu dem Manuskript kam Ashok übrigens Jahrzehnte vorher an einem denkwürdigen Abend mit viel Schnee, einer berühmten Schauspielerin und eben dem Autor.
Eine aberwitzige Tour der Force, die wie immer bestens unterhält und so ganz anders ist, als alles, was andere so schreiben.

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